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jurij m. lotman (R.I.P.)
die grenzen des textes sind die grenzen der welt

 
... "Grundwörter, Grundformen: mein 'wahres Selbst' wäre jener Grundform synonym, in der ich mich zu 'erkennen' gebe, nur ist diese Grundform keine Grund-Form, Ursprungs-Form, sondern selbst bloß Synthese aus zahllosen Verstrüppungen von Wörtern und Attitüden meiner Zeit: es ist die schlichte, auf einen Nenner gebrachte Form.

(Den Dingen ihre 'Naivität' oder 'Schlichtheit' zurückzugeben meint nicht wirkliche Naivität, Schlichtheit, im Sinne von: Unbeflecktheit, Grundform usw. Es heißt, ihnen ihre Inferiorität wiederzugeben, ihre Übermacht zu nehmen. 'Opfer' - ihrer Zeitlichkeit, ihrer Gegenständlichkeit - sind sie geradeso wie der, der sie benutzt, denn auch sie werden gehandelt, um nicht zu sagen, verramscht.)

Und da ihre Schlichtheit Artefakt ist, muss sie neu definiert werden: nicht hölderlinsche Erhabenheit ist schlicht, sondern das von Phrasen durchzogene Gestottere einer nervösen Fernsehansagerin, die zum ersten Mal moderiert; schlicht sind Wörter wie „Einkommenssteuersatz“, „Zahnersatzforderung“, „Beschwerdestelle“ – oder, tatsächlich, Grundwörter wie „Plattenspieler“, „Rechner“, „Kassette“, die man nicht als Erbe uralter, evolutionärer Verschiebungen, sondern als Nacktheiten begreift: als das Fragile, Sperrige, Karge, das gerade noch als Bindewort den Satz füllt, um die Rede nicht unbeholfen aussetzen zu lassen."

Aus einem Handke-Essay der Goncourts; Goncourt’s Tagebuch, Goncourt’s Blog

vgl. dagegen ANHs beschwerde mit comments anbei und folgediskussion zu schlichter pop-sprache und wollüstig postmoderner sprache:
N.N. möchte meine Bücher nicht lesen, weil: "zu poetische sprache... nicht meins." Weshalb liest man Romane, wenn nicht eben w e g e n der Sprache? Was ist ein literarisches Kunstwerk, wenn ihm die Poesie fehlt?
[Ich wittere hier etwas Wichtiges. Es könnte den Pop erklären. Könnte Konsalik und Pilcher erklären. ...]"

... ein sehr gewucherter reflex (rekordlänge!) auf einen klugen comment, sehr provisorisch, auch damit das im fluss bleibt:

zugegeben, auf den ersten blick sieht alles nach pop aus: diese subjektivität, dieses mediale dauernd, dieses fragmentarische. manchmal auch: die pose, der gestus.
„das subjektive“ nicht als tiefenphänomen, sondern als cluster von fragmentarischen zeicheneffekten. POP = das soziokulturelle labor für experimente mit zeichen in der mediengesellschaft seit den 50er jahren. insbesondere für verschmelzungen mit „körper“, was aber genau nicht zu „authentizität“ führt, wie einfache pop-akteure (popliteraten, blogger) gerne meinen, sondern gerade umgekehrt zu aufgeladenen zeichen, die für momente mit „leben“ zusammenfallen.

was ich mich aber doch frage: was unterscheidet das blog vom (klassischen) tagebuch? was hat der dahlmann, was der lichtenberg nicht hat? eigentlich nur das, was das medium ihm erlaubt: bilder und links und eine schnell reagierende öffentlichkeit, die die kommentare vollschreibt. machen die gegebenheiten des mediums schon das poppige aus? (auf jeden fall machen sie das bloggige aus.)

gut gesagt. ja: die gegebenheiten des mediums, genauer gesagt: ihr gekonnter gebrauch und ihre permanente reflexion machen das poppige aus. „pop“ hier wie in „e-pop“, wobei ja „e“ nicht von „ernst“ sondern von „erkenntnis“ kommt. (ganz schwierig: das verhältnis von e-pop und u-pop …)

das eben ist der unterschied von guter pop-literatur (goetz, der eben mit vollem einsatz vorführt, dass es um „schreiben als projekt“ geht und nicht um den perfekten text) und schlechter bis mittelmäßiger pop-literatur (immer dann, wenn sie von befindlichkeit ausgeht statt von konstruktion, was impliziert, dass sie „pop“ nicht begriffen hat). Stuckrad scheint mir übrigens auf dem weg vom eher uninteressanten „popliteraten“ (stadtzeitungs-pubertätsironie-virtuose) zur hochinteressanten warholistischen imitatio-of- goetz, plus anke engelke und allem.

so wie die popliteratur ein bestandteil der popkultur ist, sind auch blogs ein bestandteil davon: klar, die nachbarschaft färbt ab, die zeitgenossenschaft ebenfalls. wer heute ein (öffentliches) tagebuch führt und den medienbezug wegläßt, kann nicht ehrlich sein, kann nur unvollständig sein. weil einfach jeder sich übers fernsehprogramm aufregt, ohne dabei pop zu sein.
unterschieden werden muss wohl medienkultur (und medienreflexion) allgemein und pop-medienkultur im besonderen (schnell, schmutzig, euphorisch, geschmacklos, stilbewusst …). zeitgenossenschaft ohne selbst „pop“ zu sein (was immer das heißt) geht schon, aber ohne pop-bewusstsein wiederum wohl doch eher schwer. mein lieblingsliteraturbuch seit 13 jahren: don delillo, sieben sekunden, ist sicher nicht pop. aber er ist natürlich voll pop-sozialisiert und hat auch 1971 oder so einen sehr grüblerischen roman über einen jim-morrison-rockstar geschrieben.

das problem mit der pop-tüte ist, daß sie so groß ist, daß alles irgendwie reinpaßt. es kann aber doch nicht sein, daß man die so mit der twoday-anmeldung überreicht bekommt: da, nimm, alles was du fortan schreibst, ist jetzt pop, weil es blog ist. ich denke, da müßte man sich mal die mühe machen, die einzelnen publikationen zu prüfen. blog ist sehr heterogen und zuallererst mal ein redaktionssystem und nichts weiter.
irgendwie glaube ich ja genau das: dass man die pop-tüte mit der twoday-anmeldung überreicht bekommt. meine erfahrung zumindest … aus versehen angemeldet, aus versehen „aging of pop“ zum leitmotiv geworden …

alles passt aber ganz sicher nicht in die tüte, aber da muss ich wirklich noch darüber nachdenken: mein unveröffentlichtes hauptwerk über tagebuch-literatur muss wohl mit einem aufsatz über „diaristische schreibweisen in der neuen medien-kultur seit 1984“ (oder so) ergänzt werden.

jedenfalls aber: blog ist ganz sicher NICHT „ein redaktionssystem und nichts weiter“, in das dann verschiedene leute verschiedene dinge reintun. was „blog“ ist, da habe ich schon mit meinem damaligen mediatope-kollobaroteur gestritten. noch kein abschließendes ergebnis.
*anm.: dort auch gedanken zu "blog" und "pop", hier und passim.

dazu kommt die problematik, daß blog ein phänomen ist, das zuerst in den usa aufkam. nun, wie halten es die amerikaner mit der popliteratur? oder betrachten wir die deutschen blogs unabhängig von den transatlantischen einflüssen - was m.e. nicht ganz legitim ist?
guter punkt. die amerikaner benutzen „popliteratur“ gar nicht. Die franzosen benutzen es selten als fremdwort, wie „waldsterben“. wieder das problem, dass der literaturhistoriker oft hat: begriffe konstruieren und definieren, die aus der zeit selbst kommen, aber natürlich nur als künstliche instrumente erkenntnisfördernd sind (oder eben nicht). Ich glaube schon, dass der begriff hier nützt. wie gesagt: genau wie z.b. „neue sachlichkeit“, für das ganz ähnliches gilt, inklusive hype.

das sollte man erst mal historisch untersuchen: „pop“ ist ja vor allem in GB ein extrem wichtiges wort, eigentlich stammt fast alle wichtige pop-philosophie von dort (außer warhol natürlich), und trotzdem haben sie keine explizite „pop-literatur“ entwickelt. möglicherweise war das gesonderte etikett völlig überflüssig, weil ja die distinktion zum "alten feuilleton" hier ganz anders aussah.

dann ist „pop“ um 1980 (punk, „sounds“ und die folgen) neu entdeckt und definiert worden. und von da aus führt eine direkte linie durch das mainstream-feuilleton (münchner clique, früher sz, jetzt fasz und spiegel) und „tempo“ zu den tristesse-royale-leuten, was wiederum ein überraschend gutes experimentelles buch ist übrigens. Und das beste aus der hochzeit der „pop-literatur“ scheint mirt ansonsten tatsächlich „ampool“ zu sein (neuerdings offline??), wenn man die texte herunterlädt und als papiertext liest.

was wiederum zur überaus schwierigen frage führt, wie und wann aus text „literatur“ wird …

links zum antville-thread (via reisenotizen aus der realität, dem literaturinteressierten blog der kommentatorin):
> kurzer verriss zu "pop-literatur" (hella streicher)
> langer austausch zu literatur und pop-literatur im allgemeinen (don dahlmann u.a.)

samizdata_btn_03

… the old media, as instapundit’s glenn reynolds has blogged in The Guardian, wanted kerry to win. but good news! bush has won.
don't hate the media, become the media:

“Thanks to the internet, cable news channels and talk radio, media bias is easier to spot and easier for people to bypass. This not only changes views, but prevents the formation of a phoney consensus - what experts call "preference falsification" - resulting from widespread, and unified, media bias. …Those of you across the Atlantic may wish to take a lesson from this. As the BBC's atrocious handling of the Gilligan affair - and, indeed, its war coverage generally - illustrates, media bias is hardly limited to the United States. In fact, it's probably stronger elsewhere, and less noted, because there are fewer alternatives. Most countries have nothing like American-style talk radio, for example, because it poses far too great a threat to elites to be permitted. Still, British blogs like Samizdata, Biased BBC, Harry's Place and Normblog are providing alternative voices. Since I don't think that elite media have done a very good job during the decades of their dominance, I look forward to seeing alternative media make a difference around the world."

[And "the much-ballyhooed youth vote simply did not show up" (instapundit):
only about one in ten of the 18 - 24 years old went to the poll.]

stalker

"Every once in a while, that idea began to come to my mind again. Then increasingly it seemed to me that from that novel one could make a film with a unity of place, of time, and of action. These classic Aristotelian unities, it seemed to me, allow one to arrive at authentic cinema, which for me is not the so-called action cinema, exterior cinema, outwardly dynamic cinema. I believed that the subject which the screenplay would be based on permitted one to express in a very concentrated manner the philosophy, so to speak, of the contemporary intellectual. Or rather, his condition. Although I must say that the screenplay of Stalker has only two words, two names, in common with the Strugatskys' novel Roadside Picnic: Stalker and Zone." (Andrej Tarkovskij)

stalker_xray_400

"The very setting of the game is a murky post-apocalyptic zone of Chernobyl. In order to reproduce the atmosphere of the zone, we undertook two trips into the real zone of the Chernobyl catastrophe. About 50-60 percent of the game architecture will be from the real area. This world is made of woodlands, anomalous greenery, black marshes, semi-ruined structures, derelict test grounds for new technologies, forgotten military bases, destroyed factories, underground laboratories and so on. … Stalker groupings, underground clubs and pubs, zone rumours, news and much more will await you in S.T.A.L.K.E.R. singleplayer." (Alexei Sytyanov)

... oder genau nicht, wie don dahlmann meint? kommentar von raspe.

beides: sie sind das, was den historischen "popliteratur"-hype (1995-2001) abgelöst hat, und sie sind die fortsetzung des großen projekts "popliteratur", das im deutschsprachigen raum halt doch mit brinkmann und handke beginnt (mit fichte kann ich persönlich nicht so viel anfangen).

so sehr ich also verstehe, dass man nicht "popliterat" geschimpft werden will: die literaturgeschichte wird das so sehen. da sorge ich noch dafür. und mit zeitgenössischen schubladenbegriffen ist das ja immer so: keiner will dazu gehören, und hinterher gibt es eine analytische version davon. wie im fall "neue sachlichkeit", "neue subjektivität" usw. alles sinnvolle begriffe.

... frau hitt, falls sie das lesen und das angebot mit der blogger-lesung in innsbruck noch steht: wir würden dem angebot näher treten. es gibt zwar, glaube ich, wirklich noch keine "szene" hier, aber vielleicht wird es ja noch. jedenfalls war die resonanz im umkreis recht freundlich.

und wenn ich die blogger-lesungs-berichte hier lese, wäre ich schon auch gern dabei: don dahlmann (+links, +comments: antville-kultur in a nutshell), liste aller rezensionen bei chile, hier mit foto,emily, ronsens.

... blog-kommunikation:
was wir schon immer über seine filme wissen wollten.

... wie detroit, liverpool, rüsselsheim: projekt, site.
via ronsens, mit rüsselsheim-roots.

... zu lang geredet, wie immer. kurzer sinn:

wieso neigt die (deutschsprachige?) blog-kultur so ausgeprägt zur melancholie, genauer: zur selbst-stabilisierenden version von melancholie? und es ist ja zugleich so etwas wie die aktuelle version von "popliteratur", die es in buchform nicht mehr gibt.

und wieso ist der amtliche visuelle stil diese gelegentlich eben zu geschmackvolle popart-ästhetik geworden, die alle eigentlich ja ganz unvereinbaren fragmente aus der umwelt sofort auf den einheitlichen optischen begriff bringt (und wie wird das eigentlich genau gemacht?)?

was ist das überhaupt für eine merkwürdige neo-post-pop-art, die sich da allmählich herauskristallisiert hat und die inzwischen allgegenwärtig ist, vom sz-magazin bis erratika?

(überhaupt: das phänomen einer hoch differenzierten und supersubtilen GESCHMACKSKULTUR auf allen ebenen der späten pop-kultur. vgl. die vielen altersweisen soloplatten der übriggebliebenen seit den 90ern, die dann an hörabenden-mit-weinprobe-und-referat im lokalen innsbrucker plattenladen präsentiert werden. vgl. die täglich erscheinenden hypergeschmackvollen platten mit exquisiten bezugssystemen von youngstern, die nie jung, fahrig und geschmacklos waren, und das wäre ja "pop").

was ich meine: das alles IST ja gut, ästhetisch SEHR viel avancierter als sagen wir 1980, man MÜSSTE es ja toll finden,
aber ...

        

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